Lernen aus Kisten und Päckchen (Teil 1)

Lockdown am Höfling 2.0

Was für ein seltsames Bild: Die Schule darf nicht betreten werden, der Austausch von Materialien und Lernergebnissen zwischen LehrerInnen und Kindern geschieht per Computer, Tablet, Smartphone - oder eben über die vor dem Schulgebäude bereitgestellten Kisten der einzelnen Klassen. Im Frühjahr 2020 sieht der Unterricht gezwungenermaßen ganz anders aus, als wir ihn lieben und für richtig halten: Kein freundliches "Guten Morgen" zu Beginn des Unterrichts, kein Erzählkkreis mit Berichten von freudigen Erlebnissen oder belastenden Kümmernissen. Keine Hilfsangebote von LehrerInnen und PatInnen, wenn Hindernisse im Weg sind, keine "warmen Duschen" im Klassenrat oder Auseinandersetzungen über die bessere Art des Umgangs miteinander. Zwischenmenschliche Begegnungen geschehen stattdessen so distanziert und digital, wie wir sie nie wollten.

Auch wenn Viele dabei technische Möglichkeiten entdecken, die uns in der Zukunft weiterhelfen können, lernen wir die Vorzüge des analogen Miteinanders wieder zu schätzen, gerade weil wir sie so vermissen. Kürzlich machte jemand darauf aufmerksam, dass derzeit in den Familien eine Form des Unterrichts stattfindet, die ansonsten streng verboten ist: das Home-Schooling. Es besteht in Deutschland die Pflicht, dass Kinder in der Schule lernen und nicht zu Hause unterrichtet werden, auch wenn das Erwachsene tun, die dazu qualifiziert sind. Das ist eine wichtige soziale Errungenschaft, die die Chancengleichheit fördert, selbst wenn man über Sonderfälle streiten kann. Am Höfling sind es im normalen Schulalltag mehr als die Hälfte der Kinder, die auch ihre Hausaufgaben in der Schule, also ohne Elternhilfe, bewältigen.

Doch, ob in der Schule oder zu Hause: Das altersgemischte, selbständige Lernen befähigt unsere Kinder dazu, auch nachmittags ihre Aufgaben so zu lösen, dass sie Hilfestellungen selber finden oder am nächsten Tag im Unterricht organisieren können. Unsere kleinen Höflinge sollten also gut gerüstet sein, um auch in der aktuellen Situation zu Hause Lernfortschritte zu machen, ohne dass die Eltern ein Lehramtsexamen haben. Davon, die Rolle des Hauslehrers zu übernehmen, haben wir Eltern im Alltagsbetrieb stets abgeraten, damit eben keine Diskrepanz entsteht zwischen den Entwicklungszielen, die im Schulalltag verfolgt werden, und denen, die zu Hause in einer 1:1-Betreuung möglich oder unmöglich sind. Darin gibt es am Höfling auch einen großen Konsens zwischen Schule und Elternhaus.

Dennoch geraten Eltern in diesen Tagen schnell unter Druck, der sie aus verständlichen Gründen dazu verleitet, täglich einen Rollenwechsel vorzunehmen. Gerade jetzt aber profitieren unsere Kinder von den Methoden des selbständigen Lernens und den Techniken zur Selbstorganisation, die sie bisher erworben haben. Die Rolle der Erwachsenen bleibt die des Lernbegleiters, auch wenn er beim häuslichen Lernen im Moment anders motivieren, den Rhythmus gestalten, technische Hilfsmittel bedienen und – natürlich – immer zur Beantwortung von Fragen im im Hintergrund stehen muss. Gelingt uns das, wird aus dem "Home-Schooling" ein "Home-Learning", das zeitgerecht und kindgemäß ist, das zum Konzept der Schule passt, und von dem wir trotzdem hoffen, dass es bald wieder in die Schule verlagert werden kann.

(weiter zu Teil 2 ...)

Fotos: Ulrich Nellessen